Die große Unsicherheit

von Christian Hunziker Veröffentlicht am:

Die Corona-Krise wirkt sich auch auf den Immobilienmarkt aus – allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß: Während Einzelhandels- und Hotelimmobilien in schweres Fahrwasser geraten sind, scheinen Wohnimmobilien relativ unbeschädigt durch die Krise zu kommen. Spannend ist die Frage, wie es mit Büroimmobilien weitergehen wird.

Quelle: Adobe Stock

Schon wenige Tage nach dem durch das neuartige Coronavirus ausgelösten Lockdown Mitte März meldeten sich Immobilienexperten mit ersten Einschätzungen zu Wort. „Die aktuelle Corona-Krise könnte weitreichende Folgen für die Immobilienwirtschaft haben“, stellte Christian Schulz-Wulkow, Leiter des Immobiliensektors bei der Beratungsgesellschaft EY, Ende März fest. „Sollten sich etwa durch Mietausfälle eklatante Liquiditätsengpässe übertragen, so drohen negative Auswirkungen, die weit über die Immobilienmärkte hinausgehen.“

Schulz-Wulkow bezog sich dabei auf eine Umfrage unter Immobilieninvestoren (https://www.ey.com/de_de/news/2020/03/ey-immobilien-trendbarometer-maerz-2020), wonach 76 Prozent der Befragten im laufenden Jahr ein rückläufiges Investitionsvolumen auf dem deutschen Immobilienmarkt erwarten. Ende 2019, also nur wenige Monate vorher, hatten hingegen nur 16 Prozent mit einem sinkenden Transaktionsumsatz gerechnet. Auch Neubauprojekte kämen auf den Prüfstand, stellte Schulz-Wulkow im März weiter fest. „Viele Investoren werden abwarten, wie sich die Situation in einigen Monten darstellt und welche Projekte dann noch Sinn machen.“

Mittlerweile hat sich der Nebel etwas gelichtet. Dabei sind sich die Experten einig, dass Hotels und Einzelhandelsimmobilien (sofern sie nicht von Lebensmittelketten und Drogeriemärkten genutzt werden) stark unter Druck stehen. Auf der anderen Seite gelten Logistikimmobilien als Gewinner, da durch die Krise der Online-Handel weiter Fahrt aufgenommen hat.

Streit um Wohnungspreise

Deutlicher kontroverser ist die Einschätzung, was den Wohnungsmarkt betrifft. Zwar zeigen die Daten der Online-Portale, dass der anfängliche Rückgang der Vermietungs- und Verkaufsangebote nur vorübergehender Natur war. Wie sich der Wohnungsmarkt aber mittel- und langfristig entwickeln wird, ist unklar. „Der Wohnimmobilienmarkt wird relativ gut durch die aktuelle Krise kommen“, ist Michael Voigtländer überzeugt, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. Er hält einen Rückgang der Kaufpreise allenfalls um null bis zwölf Prozent für realistisch. Dabei argumentiert er zum einen damit, dass es derzeit keinen Hinweis darauf gebe, dass die Mieten einbrechen könnten. Zum anderen seien auch keine Anzeichen für eine Blasenbildung erkennbar.

Manche Vertreter der Immobilienwirtschaft gehen noch weiter. Wohninvestments seien aller Voraussicht nach „die Gewinner der Corona-Krise“, sagt Jürgen Michael Schick, Leiter eines großen Berliner Maklerunternehmens und Präsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD). Lars Schriewer, Vorstand der auf Wohnungsprivatisierung spezialisierten Accentro Real Estate, argumentiert, dass gerade in unsicheren Zeiten Wohneigentum weniger volatil als Aktien und Anleihen und damit attraktiver sei. Und auch Thomas Aigner, Geschäftsführer des gleichnamigen Münchner Maklerunternehmens, zeigt sich überzeugt, „dass Wohnimmobilien in den Metropolen diese Krise sehr gut überstehen werden. Denn der fehlende Wohnraum in Großstädten, nicht nur in München, ist ja nicht plötzlich durch ein Virus oder die zu erwartende Wirtschafts- und Währungskrise weg.“

Zu einem anderen Schluss kommen die Experten der Berliner Beratungsgesellschaft empirica: Sie erwarten bei Eigentumswohnungen einen Preiseinbruch von zehn bis 25 Prozent. Gründe dafür sind demnach u.a. ein Rückgang der Nachfrage durch Kapitalanleger, ein Stocken der Neubautätigkeit und ein geringerer demografischer Zusatzbedarf. Längerfristig rechnen allerdings auch die empirica-Experten mit wieder steigenden Kaufpreisen. Die Wohnungsmieten dürften nach ihrer Einschätzung nur für kurze Zeit nachgeben und danach wie schon vor der Corona-Krise stagnieren.

Büros: Top oder Flop?

Ähnlich widersprüchlich sind die Einschätzungen zum Büroimmobilienmarkt. „Von einem fundamentalen Nachfrageeinbruch aufgrund rückläufiger Beschäftigung ist nach unseren ökonometrischen Modellen im Bürobereich derzeit nicht auszugehen“, stellt Sven Carstensen fest, Vorstand des Analyseunternehmens bulwiengesa. Zwar werde die Leerstandsquote zunehmen, und der Zyklus mit steigenden Mieten scheine vorerst an seinem Ende angelangt zu sein. Grundsätzlich aber werde sich der Büromarkt stabil entwickeln – „trotz rückläufiger Beschäftigung, verstärktem Homeoffice und Rekord-Fertigstellungen“.

Ganz anders Michael Voigtländer vom IW Köln: Er rechnet nach eigenen Worten „mit einem gravierenden Abschwung auf dem Büromarkt“. Für Berlin prognostiziert er, dass die Büromieten im Jahr 2020 um rund 20 Prozent zurückgehen werden, während die Kaufpreise für Büroimmobilien sogar um 35 Prozent einbrechen dürften. Den Abschwung begründet Voigtländer mit der schlechten Konjunktur und dem Umstand, dass in Zukunft deutlich mehr Arbeitnehmer ihrer Tätigkeit im Homeoffice nachgehen werden.

Allerdings treffen im Bürobereich unterschiedliche Entwicklungen aufeinander. Einerseits hat die Corona-Krise tatsächlich die Bewegung hin zum Homeoffice und zum sogenannten Remote Working (früher als Telearbeit bekannt) beschleunigt. Andererseits könnten die Erfahrung mit dem Coronavirus und der Wunsch nach größerem Abstand dazu führen, dass der Trend zu Open-Space-Bürolösungen gebremst wird und das hergebrachte Zellenbüro wieder an Beliebtheit gewinnt.

Die Immobilienberatungsgesellschaft JLL hält es aus diesem Grund sogar für möglich, dass der Bedarf an Büroflächen steigen könnte. In einem von ihr entworfenen Szenario bleibt das Büro zentraler Ort des Arbeitens, und die notwendige Fläche pro Mitarbeiter steigt wegen der erforderlichen Abstand- und Hygieneregeln – mit dem Ergebnis, dass die insgesamt benötigte Bürofläche sich um 14 Prozent erhöht. Für wahrscheinlicher hält JLL-Chefresearcher Helge Scheunemann allerdings ein anderes Szenario, in dem Remote Working deutlich beliebter wird und Social Distancing in Büros kein Thema mehr ist. In diesem Fall würde sich die benötigte Bürofläche um zehn Prozent verringern.

Optimismus überwiegt

Gleichwohl zeichnen Marktexperten in der Summe ein vergleichsweise optimistisches Bild. Bereits im Juni erholte sich das vom Immobilienfinanzierer Deutsche Hypo monatlich ermittelte Immobilienklima deutlich. Weil damit trotz der gegenwärtigen Unsicherheit der Bedarf an Fach- und Führungskräften in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hoch bleiben dürfte, können auch spezialisierte Personaldienstleister wie Vires Conferre zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Dies gilt umso mehr, wenn man sich die Aussage von Elmar Lang, Wissenschaftler an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden, vor Augen führt: Er prophezeit unter Verweis auf das gestiegene Sicherheitsbedürfnis vieler Anleger eine blühende Zukunft des deutschen Immobilienmarks. Denn es sei davon auszugehen, dass die günstigen Fundamentalfaktoren „dem hiesigen Immobilienmarkt international zu einem nie dagewesenen Aufwind verhelfen werden, sobald die kurzfristigen Verwerfungen der Krise überwunden sind“.

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