Entscheidungen absichern: Persönlichkeitsorientierte Verfahren zur Potenzialklärung

von Rüdiger Hossiep Veröffentlicht am:

Persönlichkeitsorientierte Testverfahren haben sich bei der Besetzung von hochqualifizierten Positionen als effektives Mittel etabliert. Rüdiger Hossiep hat als einer der bekanntesten deutschen Personalpsychologen die Entwicklung solcher eignungsdiagnostischer Verfahren maßgeblich geprägt. In unserem Blogbeitrag spricht er über Aufbau, Ablauf und Vorteile des Bochumer Inventars zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung.

Bei Besetzungsentscheidungen müssen sich Verantwortliche im Rahmen der Personalberatung zuerst mit der Frage auseinandersetzen „Eignung wofür?“. Entsprechend relevant ist die Definition von Anforderungskriterien. Anforderungen sind einerseits fachlicher Natur und können z. B. biografisch anhand des Lebenslaufs bzw. von Qualifikationsnachweisen abgeglichen oder im Interview gezielt erfasst werden. Die Gründe für etwaiges Scheitern in einer beruflichen Position liegen besonders bei qualifizierten Beschäftigten jedoch weniger in fachlicher Expertise, sondern vielmehr in der Ausprägung spezifischer überfachlicher Kompetenzen. Die Klärung überfachlicher Anforderungen sollte insofern bei wichtigen Besetzungsentscheidungen stets in den Fokus genommen werden. 

Der Abgleich zwischen einem definierten Anforderungsprofil und den Kompetenzen potenzieller Kandidaten für die in Frage kommende Position ermöglicht ein Matching im Sinne des Person-Job-Fits. Eine möglichst zuträgliche Passung zwischen Person und Position gestaltet sich in diesem Zusammenhang für beide Seiten als Win-Win-Situation: Für Arbeitgeber besteht selbstverständlich ein großes Interesse, jemanden zu identifizieren, der die Position bestmöglich und erfolgreich ausfüllt, zugleich aber auch zufrieden mit seiner Tätigkeit ist und nicht baldigst Ausschau nach der nächsten Vakanz hält. Der Beschäftigte möchte eine Tätigkeit ausüben, die ihm und seinen – auch überfachlichen – Fähigkeiten entgegenkommt und ihn zudem ausfüllt. Nur was man gerne macht, macht man auch gut und damit erfolgreich. 

Nicht zuletzt ist eine Fehlbesetzung mit erheblichen Kosten verbunden. Ein Risiko, das sich minimieren lässt. Der Nutzen eines Auswahlprozesses durch den Einsatz valider Methoden ist quantifizierbar. So resultiert für eine besetzte Vakanz bei konservativer Annahme einer Validität von .40 für den Auswahlprozess bei Gesamtpersonalaufwendungen von 300.000€*1 pro Jahr (die bei Kalkulation aller Aufwendungen leicht überstiegen werden) ein monetärer Nutzen von 988.000€.*2

Zur individuellen Einschätzung von Kandidaten ist es durchaus zielführend, neben Erkenntnissen aus biografischen Unterlagen und einem möglichst strukturierten Interview auch weitere Informationen einzuholen. Hier bietet sich der Einsatz persönlichkeitsorientierter Fragebogen an. In diesem Zusammenhang sind folgende Argumente zu nennen*3:

  • Liefern ein differenziertes Persönlichkeitsbild auf ökonomische Weise
  • Bieten Ansatzpunkte, Selbst- und Fremdbilder unkompliziert abzugleichen
  • Können die Laufbahn- und Karriere-Entwicklung durch wiederholten Einsatz über viele Jahre begleiten (tätigkeitsbezogene Kompetenzentwicklung)
  • Ermöglichen Benchmarking durch hinterlegte Referenz- bzw. Vergleichsgruppen
  • Erfahrene Anwender können problemlos Bezüge zu den überfachlichen Anforderungen einer Position aufzeigen. Der Diskurs hinsichtlich überfachlicher Aspekte wird objektiviert
  • In einem Auswahlprozess generierte Persönlichkeitsprofile können auch später zu Maßnahmen der Personalentwicklung einen sinnvollen Beitrag leisten
  • Über die Abbildung in Kompetenzmodellen hinaus ermöglichen Persönlichkeitsprofile eine Erkennung von Verhaltensursachen und liefern damit Ansatzpunkte für Interventionen
  • Die Profile zeigen ggf. Widersprüche innerhalb der Persönlichkeitsstruktur auf, die ansonsten häufig nicht berücksichtigt werden. Sie liefern zahlreiche Ansatzpunkte für die weitere Exploration beruflich relevanter Persönlichkeitszüge
  • Die Profile bieten ein Fundament, um wesenswidrige und nicht persönlichkeitsadäquate Personalentwicklungsmaßnahmen zu unterlassen 

Für die systematische und ökonomische Erfassung von überfachlich relevanten Aspekten empfiehlt sich das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung – 6 Faktoren (BIP-6F). Mit dem BIP-6F liegt ein berufsbezogenes Kompaktinstrument vor, mit dem folgende grundlegende Persönlichkeitseigenschaften zuverlässig im Rahmen einer systematischen Selbsteinschätzung erfasst werden: Engagement, Disziplin, Sozialkompetenz, Kooperation, Dominanz und Stabilität (s. Abbildung).

Engagement beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern berufliche Ziele verfolgt werden. Hier spielen Aspekte wie Karriereorientierung, der eigene Leistungsanspruch und die persönliche Wettbewerbsorientierung eine Rolle. Beispielaussage: „Meinem beruflichen Erfolg ordne ich alles andere unter.“

Wie sorgfältig geplant und gearbeitet wird, ist Kern des Faktors Disziplin. Neben Sorgfalt sind das individuelle Verhalten in Bezug auf Planung und Struktur sowie der Prozess der Entscheidungsfindung (Analyseorientierung) enthalten. Beispielaussage: „Bei meinen Planungen überlasse ich nichts dem Zufall.“

Sozialkompetenz nähert sich über Facetten in Form von Kontaktstärke, Einfühlungsvermögen und Begeisterungsfähigkeit der Frage, wie aktiv in sozialen Situationen agiert wird. Die Präferenz von Teamarbeit steht im Fokus des Faktors Kooperation. Zusätzlich zur Teamorientierung fließen hier Kompromissbereitschaft und Integrationsfähigkeit mit ein. Die Vehemenz, mit der eigene Interessen durchgesetzt werden, findet sich in der Persönlichkeitseigenschaften Dominanz wieder. In diesem Zusammenhang sind Konfliktbereitschaft, die Unabhängigkeit eigenen Verhaltens von anderen sowie die Fähigkeit, sich durchzusetzen, zu nennen.

Abschließend bildet der Faktor Stabilität ab, wie robust auf Belastungen reagiert wird. Gelassenheit, Selbstbewusstsein sowie Stress- bzw. Frustrationstoleranz sind in diesem Kontext relevant. Die Ausprägungen der sechs Faktoren werden in einem Ergebnisprofil wie folgt dargestellt.

Als wissenschaftlich konstruiertes Fragebogenverfahren erfüllt das BIP-6F die Anforderungen hinsichtlich der Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Genauigkeit)*4. Zudem ist der Fragebogen anhand einer Großzahl berufstätiger Fach- und Führungskräfte normiert. Demnach liegt also ein Benchmark vor, der individuelle Werte in Bezug zu Werten der Zielgruppe setzt und so eine Einordnung ermöglicht.
Mit einer Bearbeitungszeit von unter zehn Minuten bietet das BIP-6F somit die Möglichkeit, schnell und unkompliziert einen fundierten Beitrag zur überfachlichen Eignungsklärung zu liefern. Einer Reduzierung kostspieliger Fehlbesetzungen kann so auch auf diesem Feld entgegengewirkt werden.

Dr. Rüdiger Hossiep ist ein deutscher Wirtschafts- und Personalpsychologe sowie Eignungsdiagnostiker. Unter anderem ist er Hauptautor und Entwickler verschiedener psychologischer Testverfahren wie des Bochumer Inventars zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP), des Bochumer Matrizentests (BOMAT, sprachfreie Intelligenztests) und des Bochumer Wissenstests (BOWIT). Er wurde mit dem Alfred-Binet-Preis für seine herausragenden Arbeiten zur psychologischen Diagnostik ausgezeichnet.

Rüdiger Hossiep bei LinkedIn und XING.

*1. Ca. 140.000 € Bruttogehalt p. a.

*2. Formel: ∆U= NA x T x rxy x Zx x SDy - C x NB; NA = Nettonutzen des Personalauswahlprogramms in Geldeinheiten = 1; T = Betriebszugehörigkeit in Jahren = 10; rxy = Validitätskoeffizient des Auswahlverfahrens = .40; Zx = mittlerer standardisierter Prädiktorwert der ausgewählten Bewerber nach Naylor-Shine-Tabelle = 1,4; SDy = geschätzte Standardabweichung der Berufsleistung in Geldeinheiten (60% der Personalaufwendungen) = 180.000; C = Kosten der Auswahl pro Bewerber = 5.000; NB = Anzahl der untersuchten Kandidaten = 4; ∆U = Nutzenzuwachs durch den Einsatz eines validen Auswahlverfahrens (bei r = .40) = 988.000 € [Bitte beachten Sie, dass in der Formel korrekterweise das Z mit einem Querstrich versehen sein müsste]

*3. Hossiep, R. & Mühlhaus, O. (2015). Personalauswahl und -entwicklung mit Persönlichkeitstests (2., vollst. überarb. und erweit. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

*4. Abrell-Vogel, C. & Gerstenberg, F. (2014). TBS-TK Rezension: „Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung – 6 Faktoren (BIP-6F)“. Psychologische Rundschau, 65, 195-197.

Fachgruppe Diagnostik des SDBB (2013). Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung. test.sdbb.ch

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